Die Paul Faust Orgel in der Erlöserkirche in Adenau

 

 

 

Erbauer der Orgel: Paul Faust, Barmen

Baujahr: 1914

System: Pneumatische Kegellade

 

Disposition:

 

1. Manual C - g3: Bordun 16', Prinzipal 8', Soloflöte 8', Dulciana 8', Oktave 4', 2. Manual C - g3: Lieblich Gedeckt 8', Echogambe 8', Violine 8', Vox coelestis 8', Flauto dolce 4', (Transmission aus Lieblich Gedeckt 8' g2 - g3 auf eigener Zusatzlade), Pedal C - f1: Subbass 16', Stillgedeckt 16' (Transmission aus Bordun 16' Hauptwerk), Violoncello 8' (Transmission aus Echogambe 8' Schwellwerk), Koppeln und Spielhilfen: II-I, II-Pedal, I-Pedal, Sub II-I, Super in I, Basskoppel (!), feste Kombinationen: Piano, Mezzoforte, Tutti, Pianopedal, Auslöse

 

Besonderheit: Die Orgel verfügt über eine ››Basskoppel«, dies ist eine seltene Koppel aus der Zeit der Romantik. Die Basskoppel ist die Umkehrung der Melodiekoppel, bei der die Basslinie eines auf dem Manualwerk gespielten Orgelsatzes auch das Pedal mit zum Erklingen bringt.

Winddruck: 87 mm WS am Hauptwindkanal (nach der Restaurierung).

 

Anlage: Das Orgelwerk ist in einer ››Orgelkammer« untergebracht, es ist ein frühes Beispiel für die Unterbringung des Werkes in einem gemauerten Raum. Nach der Ansicht des Autors ist diese Konzeption schon von dem Architekten Schwechten von vornherein so eingeplant worden, zumal in dem Raum sonst keine Empore vorhanden ist.

 

Prospekt: Nur das horizontale Metallband, welches den Prospekt hält, weist auf die Zeit des Jugendstils hin. Der Prospekt hat einen kräftigen Mittelturm, der flankiert wird von zwei geraden Flachfeldern. Der Mittelturm ruht auf einer dreifach gestaffelten Brüstung, die optisch gesehen die Wucht des Turmes auffängt. Auch dieser Teil ist, ebenso wie der Gehäuseunterbau, im gleichen Farbton wie das horizontale Band aus Eiche gefertigt. Dieses Gehäuse ist von dem Architekten der Kirche, Geheimer Baurat und Professor, Atelier für Architektur, Franz Schwechten, konzipiert worden. Raum und Orgel bilden somit eine stilistische Einheit.

 

Paul Faust (geb. am 13.2.1872, gest. am 21.2.1953) ging 1888 zu dem Orgelbauer Julius Schwarz nach Rostock in die Lehre. Anschließend begab er sich für etwa zwei Jahre auf Wanderschaft nach England. Hier lernte er bei verschiedenen bisher nicht lokalisierten Orgelbaufirmen. 1896 legte er seine Meisterprüfung bei dem Orgelbauer Fabricius in Kaiserswerth ab.

 

Bei dem Orgelbauer Ernst Bernhard Koch (1848 - 1918), der im Jahre 1880 in Wuppertal-Barmen eine eigene Orgelbauwerkstatt eröffnet hatte, übernahm Faust die Stelle eines Geschäftsführers. 1904 gründete er als Nachfolger Kochs eine eigene Orgelbauwerkstatt in Barmen. 1920 siedelte er nach Schwelm über, wo er bis zu seinem Tode seine »Orgelbauanstalt Paul Faust« unterhielt.

 

Die Güte der Arbeit und des Materials sowie das hohe künstlerische Können auf dem Gebiet der Intonation (= "Einregulieren" der Klangfarbe, Ansprache und Lautstärke in Abhängigkeit zum Raum) verhalfen Paul Faust zu einer außergewöhnlich steilen "Karriere". Er baute bis zum Jahre 1914 (das ist das Baujahr unserer Orgel) 117 Orgeln mit bis zu 60 Registern. Bis zum Tode von Faust entstanden über 260 Orgeln mit einer Gesamtregisterzahl von fast 5.000 Registern! Die kleinste Orgel hatte 3 Register, die größte 63 Register. Bis Ende der zwanziger Jahre baute Faust spätromantische Orgeln, d.h., grob skizziert: Eine große Palette von Grundstimmen unterschiedlichster Klangfarben und Stärkegrade machen den größten Stimmanteil aus. Hellere Stimmen wie z.B. Mixturen, Aliquoten und Oktavregister wurden meist nur für größere Orgeln gebaut. Seit der Freiburger Orgeltagung (1926), die die Ideale der Barockorgel vertrat, baute Faust zunehmend mehr Register mit helleren Klangfarben (Aliquoten und Oktavregister bis zum 1', hoch liegende Mixturen) und Zungenstimmen nach alten barocken Vorbildern.

 

Genauso wenig wie es die romantische Orgel gab, gab es auch nicht die Barockorgel. Unterschiedliche Strömungen der Zeit und Landschaft ließen während beider Epochen grundsätzlich unterschiedliche Instrumente entstehen. Z.B. unterscheidet sich die norddeutsche Barockorgel von der süddeutschen oder die französische romantische Orgel von der deutschen romantischen Orgel. Die Dogmen der Orgelbewegung ließen die romantische Orgel bald in Verruf geraten. Viele Instrumente wurden in den dreißiger Jahren umgebaut, der Zweite Weltkrieg zerstörte etliche, vor allem große Instrumente.

 

Seit der Nachkriegszeit (bis heute!!) wurde und wird der Bestand an romantischen Orgeln weiter dezimiert. Die Orgel in Adenau ist somit eine Rarität geworden. Selbst Orgelwissenschaftler vertreten die Meinung, dass kleine romantische (Dorf)-Orgeln nicht erhaltenswert sind. Diese Auffassung ist falsch: Nur die Qualität und Objektarmut eines bestimmten Instrumententypus darf über deren Denkmalwert entscheiden, nicht aber die Größe einer Orgel.

 

An dieser Stelle sei das Gutachten des Domorganisten Professor Walter Fischer, Berlin, aus dem Jahre 1914 eingefügt. »Gelegentlich der Einweihungsfeier der Erlöserkirche in Adenau habe ich die neue Orgel von der Firma Faust in Schwelm gespielt und eingehend geprüft. Das Problem, dass auch eine kleine Orgel von 13 Registern eine ausdrucksfähige Konzertorgel sein kann, ist hier aufs Glücklichste gelöst worden. Durch drei Transmissionen, durch durchgeführte Super- und Suboktavkoppeln, durch einen sehr ausgiebigen Jalousieschweller für das zweite Werk und - nicht zuletzt - durch eine sehr sorgfältige und mit großem Kunstsinn ausgeführte Intonation der einzelnen Stimmen präsentiert sich die neue Erlöserkirchenorgel als ein ganz vorzügliches Konzertinstrument, welches Spieler und Hörer gleich voll befriedigen wird. Noch einmal muss ich hervorheben, dass mir gerade die ausgezeichnete kunstvolle Intonation der Register ganz besonders aufgefallen ist. Man kann der Kirchengemeinde zu ihrer neuen, schönen Orgel nur gratulieren.

 

Berlin-Wilmersdorf, 1. Juli 1914, Professor Walter Fischer, Domorganist und Lehrer an der Hochschule für Musik in Berlin.«

 

Die Gemeinde in Adenau hat den mutigen Schritt getan, diese Orgel zu restaurieren, obwohl es immer noch Kritiker gibt, die solche Instrumente für "irreparabel" und "musikalisch wertlos" halten. Als irreparabel wird oft das technische Steuerungssystem solcher pneumatischen Orgeln bezeichnet. Pneumatisch bedeutet hier: Der Impuls von der Taste am Spieltisch bis zum Pfeifenventil wird mit Hilfe komprimierter Luft gesteuert. Zu diesem System gehören u.a. viele kleine Ledermembranen, die einem natürlichen Verschleiß unterliegen. Diese Lederteile waren in Adenau verschlissen, und so neigte das Instrument immer häufiger zu Störungen. 1988 restaurierte die Orgelbaufirma Gebr. Stockmann/Werl das Instrument. Alle Teile der Orgel (Pfeifen, Windladen, pneumatische Apparate und der Spieltisch) wurden sorgfältig in der Orgelbauwerkstatt gereinigt, repariert und gerichtet. Verschlissene Lederteile wurden durch neue ersetzt. Die zum Teil ramponierten Pfeifen wurden wieder gerichtet und nachintoniert. Nur das Register Soloflöte (innenlabiert und ehemals graphiert) konnte nicht wieder auf den ursprünglichen Zustand von 1914 zurückgebracht werden.

 

Irgendwann muss einmal ein Orgelbauer an diesen speziellen Labien (= Pfeifenmund) etwas abgeschnitten haben. Seitdem klingen die Pfeifen anders in der Ansprache und im Klang. Trotzdem gehört dieses Register mit zu den expressivsten Stimmen der Orgel.

 

Das so kleine Instrumente wie in Adenau nicht »musikalisch wertlos« sind, beweisen inzwischen mancherorts Organisten, die auf solchen Orgeln adäquate Orgelliteratur spielen. Es gibt eine Fülle von qualitätsvoller Orgelmusik der Romantik für das Orgelspiel im Gottesdienst wie auch im Konzert.

 

Manfred Schwartz, III/89